Familie: Johanniskrautgewächse (Hypericaceae)
Englischer Name: St. John’s wort
Der Extrakt aus dem blühenden Johanniskraut wirkt antibakteriell und entzündungshemmend und fördert die Regeneration der Hautbarriere.
Das Johanniskraut, Hypericum perforatum L., ist eine im Hochsommer gelb blühende, seit der Antike vom Menschen genutzte Heilpflanze. Traditionell wurde es äußerlich für die Wundbehandlung und für Verbrennungen, innerlich für die Behandlung von Melancholie und Depressionen verwendet. Heute kann das Johanniskraut als eines der am besten erforschten Phytotherapeutika angesehen werden. Es ist zugelassen für die Behandlung von leichten bis mittelschweren depressiven Episoden. Äußerlich angewendet wirkt Johanniskraut entzündungshemmend und die Hautbarriere stärkend.
Nach einer Legende soll der Teufel in seiner Wut über die außerordentliche Heilkraft der Pflanze mit einer Nadel über das Kraut hergefallen sein und es durchlöchert haben. Der alte Namen „Fuga daemonum“ bezieht sich auf die Vertreibung des Dämons der Melancholie und der Schwermut, also die Depression. Den roten Saft, der beim Zerreiben der Blüten hervorquillt, deutete man bei den germanischen Völkern als Blut des Sonnengottes Baldur, der sich immer zur Zeit der Sonnenwende der Erde opferte. Der Name „Johanniskraut“ bezieht sich auf Johannes den Täufer, um dessen Geburtstag am 24. Juni es erblüht. Eine christliche Legende besagt, dass das Johanniskraut aus dem Blut des hingerichteten Johannes hervorgewachsen sein soll.1
Das arzneilich verwendete Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) gehört zur Familie der Johanniskrautgewächse (Hypericaceae). Der Schwerpunkt dieser Familie liegt in den Tropen. Während dort vorwiegend baum- und strauchartige Vertreter mit hartem Holz wachsen, sind die Johanniskrautgewächse unserer gemäßigten Breiten Stauden und Halbsträucher, die um die Johannizeit blühen. Weltweit sind über 370 Johanniskraut-Arten mit vorwiegend subtropischer und tropischer Verbreitung bekannt. In Mitteleuropa gibt es 13 einheimische Johanniskraut-Arten. 2 Als Heilpflanze wird lediglich das Tüpfel-Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) verwendet. Es wächst auf Brachen, an Wegrändern und in lichten Wäldern. Wegen des großen Bedarfs wird das Johanniskraut heute auch angebaut. Größere Anbaugebiete befinden sich in Deutschland, in Osteuropa und auf Mallorca.3 Hypericum perforatum L. ist eine ausdauernde, bis 1 Meter hohe Pflanze mit gelben Blüten. Die Blätter sind elliptisch und durchscheinend punktiert, was zum Namen beigetragen hat (perforatum = durchstochen). Das mikroskopische Korrelat der Tüpfel sind die schwarzblauen hypericinführende Sekretbehälter (Abbildung). Als Ausgangsmaterial für die verschiedenen pharmazeutischen Zubereitungen dient das Kraut mit den Blüten, die kurz vor der Blüte geerntet werden. Die traditionellen Zubereitungsformen sind das Johanniskrautöl und Johanniskrauttee.3,4
Der auffälligste Inhaltsstoff des Johanniskrautes ist der rote Farbstoff Hypericin, der in den Sekretbehältern der Pflanze angereichert ist und beim Zerreiben zum Austreten eines blutroten Saftes führt. Insgesamt werden ca. 0,1 % Hypericin und Pseudohypericin und ähnliche Verbindungen im getrockneten Kraut gefunden, außerdem 0,5-1,0 % Flavonoide mit dem Hauptbestandteil Hyperosid, 0,05- 0,3 % ätherisches Öl, 3,0-6,0 % Catechingerbstoffe, ca. 0,1 % Xanthone in der Wurzel und das Phloroglucinderivat Hyperforin (ca. 4,5 %). Hyperforin erreicht die höchste Konzentration in den reifen Früchten.5
Bereits in der Antike wurde Johanniskraut als Heilpflanze geschätzt. Plinius (23–79 n. Chr.) schreibt: „Verbrennungen werden durch den Wegerich geheilt – ferner durch das bloße Kraut Hypereikon“ . Ebenso spielt es in der Materia medica des Dioscurides (1. Jh. n. Chr.) eine Rolle: „Johanniskraut mit Honigwasser getrunken wird bei Brandwunden und Ischias verwendet. Und die Blätter heilen als Umschlag Brandwunden.“ Im Mittelalter war das Johanniskraut eine der wichtigsten Heilpflanzen überhaupt: Matthiolus (1501–1577): „Heylet alle sorglichen Wunden…Die Bletter auffgelegt heilen den Brandt, zu Pulver gestoßen in die faulen Schäden und Geschwär gestrewet, fördern sie zur Heilung…“. Lonicerus (1528– 1586): „Zu faulen Wunden ist es gut, gestoßen und übergelegt. Das Wasser heylet alle Wunden…die gestochen oder gehauen sind…ist gut fürs Zittern und Beben der Glieder.“ Tabernaemontanus (1522–1590): „Dass sie das Blut in den Wunden stillen und dieselbigen, sonderlich was verbrannt ist heilen, … gar nutzlich zu gebrauchen zu den zerknitschten und zerstoßenen Nerven…“ Paracelsus (1493–1541) widmet dem Johanniskraut eine eigene Abhandlung, in der es heißt: „Ich hab berichtet von 4 Kräften, die in der perforata sind: sie wirkt nämlich gegen Phantasma, Würmer, Wunden und besitzt balsamische Tugend… Die Phantasmata … Krankheiten, die die Leute zwingen, daß sie sich selbst töten, den Verstand verlieren, in Tobsucht und Aberwitz verfallen und dergleichen“. Leonhart Fuchs (1501–1566), Botanik-Professor an der Universität Tübingen, schreibt zum Johanniskraut: „Vonn den gemeinen Kreutlein würdt diß gewechß zu Latein Perforata und Fuga daemonum geheyssen / darum das seine Blettlin so sie gegen der sonnen werden gehalten / sehen als werens mit nadeln vilfeltig durchstochen / unnd dass es alle gespenst vertreiben soll.“1
Dem Johanniskraut werden zahlreiche pharmakologische Wirkungen zugeschrieben, von denen hier nur die wichtigsten erwähnt werden:
Eine antidepressive Wirkung des Johanniskrautes war bereits den Ärzten des Mittelalters bekannt. Inzwischen ist durch zahlreiche Studien eine Wirkung von Johanniskrautextrakten bei Depressionen – auch im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva und Hemmstoffen der Neurotransmitter-Wiederaufnahme – gut belegt.6,7 Die phytotherapeutische Dosierung bei der Behandlung von depressiven Zuständen beträgt in der Regel 600 bis 900 mg Gesamtextrakt pro Tag.
Johanniskrautöl ist ein altes Hausmittel, das zur Behandlung von Brandwunden, Quetschungen und Muskelschmerzen eingesetzt wird. Bereits im Mittelalter wurde das Johanniskrautöl bei der Behandlung von schlecht heilenden Wunden und Schmerzen angewendet. Johanniskrautöl ist heute das einzige Pflanzenöl, das aus der frischen Pflanze hergestellt wird. Die Herstellungsweise von Johanniskrautöl war im Lauf der Geschichte mannigfaltigen Wandlungen unterworfen. So wurde das Öl bis ins 18. Jh. lichtgeschützt in Zinn oder Steingutgefäßen hergestellt. Erst später hat sich die Extraktion am Sonnenlicht etabliert.8 Eine klinische Studie belegt die Wirksamkeit des Johanniskrautöls bei der Behandlung von Dekubital-Ulcera älterer Menschen.9 Ein Extrakt aus der Johanniskrautart Hypericum patulumerwies sich im Tiermodell in Exzisions- und Inzisionswunden als wundheilungsfördernd.10
Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist die Wirksamkeit von Johanniskraut gegen Staphylokokkus aureus und andere grampositive Keime bekannt, fand allerdings wenig Beachtung.11,12 In neuerer Zeit wurde nachgewiesen, daß Hyperforin auch gegen multiresistente Staphylokokken wirksam ist.13 Dies könnte dermatologisch von Bedeutung sein, da die traditionell zur Wundbehandlung eingesetzten Johanniskrautöle Hyperforin enthalten.8
In den letzten Jahren wurden ausgeprägte entzündungshemmende Eigenschaften von Hyperforin beschrieben.14 Hyperforin bindet an Zellen der Epidermis spezifisch an einen Kationenkanal, den sogenannten TRPC6- Kanal, und bewirkt einen direkten Einstrom von Kalzium in die Zellen. Die Mobilisation von Kalzium führt zu einer Förderung der normalen Ausreifung (terminale Differenzierung) der Keratinozyten, was die Regeneration der epidermalen Barriere fördert.15
Eine hyperforinreiche Creme zeigte in einer vehikelkontrollierten Studie im Halbseitenvergleich eine überlegene Verbesserung der Neurodermitissymptome.16In einer weiteren Studie wurde die gute Wirkung von Johanniskraut- Creme bei Erwachsenen und Kindern mit Neurodermitis bestätigt.17
In jüngster Zeit wurden bei innerlicher Anwendung von Johanniskrautextrakt verschiedene Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten bekannt. Es gibt Hinweise, dass Johanniskrautextrakte das Cytochrom P-450-Enzymsystem und den Steroid-X-Rezeptor beeinflussen, wodurch andere Medikamente schneller abgebaut werden.18,19
Hypericin und dessen Derivate sind für die photosensibilisierende Wirkung des Johanniskrautes verantwortlich. Diese zeigt sich bei Weidetieren, die größere Mengen Johanniskraut gefressen haben, in Form sonnenbrandähnlicher Entzündungen von Hautpartien, die stärkerer Sonnenbestrahlung ausgesetzt waren.20,21Dennoch wurden ernste, dem Hypericismus bei Tieren vergleichbare Krankheitsbilder beim Menschen bei der innerlichen Therapie mit Hypericum-Präparaten noch nie beobachtet. Nur mit reinen Hypericin-Präparaten sind diese Probleme vereinzelt aufgetreten. Bei der äußerlichen Anwendung von Johanniskraut wurden Verbrennungen nicht beschrieben22.
1 Schempp CM, Wölfle U, Meyer U, Schaette R. Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) – heilkräftige Lichtpflanze der Sommersonnwende. Der Merkurstab 2011;64:596-606
2 Hegi G. Hypericaceae. In: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. V. Band, 1. Teil, 3. Buch: Linaceae bis Violaceae. München: Verlag Carl Hanser, 1925. Unveränderter Nachdruck 1965: 498–534
3 Kaul R. Johanniskraut. Botanik, Inhaltsstoffe, Qualitätskontrolle, Pharmakologie, Toxikologie und Klinik. Wiss. Verlagsges. Stuttgart, 2000
4 Roth L. Hypericum – Hypericin. Botanik, Inhaltsstoffe, Wirkung. Ecomed Arzneipflanzen-Monographie, Ecomed, Landsberg/Lech, 1990
5 Hänsel R, Keller K, Rimpler H, Schneider G (Hrsg.) Hypericum. in: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis (5. Aufl.) Springer, Berlin, 1993: 474-495
6 Linde K, Ramirez G, Mulrow CD, Pauls A, Weidenhammer W, Melchart D. St John’s wort for depression – an overview and metaanalysis of randomized clinical trials. Brit Med J 1996; 313:253-258
7 Linde K, Mulrow CD. St John’s wort for depression. Cochrane Database Syst Rev 2, 2000:CD448
8 Maisenbacher P, Kovar KA. Analysis and stability of Hyperici oleum. Planta Med 1992; 58:351-354
9 Lomagno P, Lomagno RC. Activity of Hypericum perforatum oil in the treatment of the bedsores in old people. Fitoterapia 1979; 50:201-205
10 Mukherjee PK, Verpoorte R, Suresh B (2000) Evaluation of in-vivo wound healing activity of Hypericum patulum (Family: hypericaceae) leaf extract on different wound model in rats. J Ethnopharmacol 70:315-321
11 Neuwald F, Hagenström U. Untersuchungen über die antibakterielle Wirkung von Hypericum perforatum L. Arch Pharm 1954; 287:439-441
12 Gurevich AI, Dobrynin VN, Kolosov MN, Popravko SA, Ryabova ID, Chernov BK, Derbentseva NA, Aizenman BE, Garagulya AD. Hyperforin, an antibiotic from Hypericum perforatum L. Antibiotiki 1971; 16:510-513
13 Schempp CM, Pelz K, Wittmer A, Schöpf E, Simon JC. Antibacterial activity of hyperforin from St John’s wort, against multiresistant Staphylococcus aureus and gram-positive bacteria. Lancet 1999; 353:2129
14 Wölfle U, Seelinger G, Schempp CM. Topical application of St. John’s wort (Hypericum perforatum). Planta Med. 2014; 80:109-20.
15 Müller M, Essin K, Hill K, Beschmann H, Rubant S, Schempp CM, et al. Specific TRPC6 channel activation, a novel approach to stimulate keratinocyte differentiation. J Biol Chem. 2008; 283:33942-33954.
16 Schempp CM, Hezel S, Simon JC. Behandlung der subakuten atopischen Dermatitis mit Johanniskraut-Creme. Eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie im Halbseitendesign. Hautarzt 2003, 54: 248–253
17 Heinrich U, Tronnier H. Johanniskraut-Extrakt zur Pflege der atopischen Haut. Kosmetische Medizin 2003, 24: 3–4
18 Obach RS. Inhibition of human cytochrome P450 enzymes by constituents of St. John’s Wort, an herbal preparation used in the treatment of depression. J Pharmacol Exp Ther 2000; 294:88-95
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20 Pace N. The etiology of hypericism, a photosensitivity produced by St. Johnswort. Am J Physiol 1942; 136:650-656
21 Giese AC. Hypericism. Photochem Photobiol Rev 1980;5:229-255
22 Schempp CM, Winghofer B, Lüdtke R, Simon-Haarhaus, Schöpf E, Simon JC. Effect of topical application of Hypericum perforatum extract (St. John’s wort) on skin sensitivity to solar simulated radiation. Photodermatol Photoimmunol Photomed 2000; 16:125-128